BERLIN – (AD) – Nachfolgend veröffentlichen wir die Rede von Admiral James G. Stavridis beim Arthur Burns Award Dinner vom 6. Juni 2012 in Berlin.
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr verehrte Gäste, meine Damen und Herren, guten Abend!
Ich möchte Ihnen zunächst dafür danken, dass Sie mich dazu eingeladen haben, an dieser wunderbaren Veranstaltung teilzunehmen. Es ist mir eine Ehre, heute Abend hier sein zu dürfen, während wir die Bedeutung der Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten anerkennen, die zu den stärksten der heutigen Zeit gehören.
Als Oberbefehlshaber der NATO kann ich Ihnen versichern, dass diese Beziehungen im gesamten militärischen Bereich stärker sind als jemals zuvor, und ich danke Ihnen für die Unterstützung Ihres Landes.
Der jüngste Gipfel in Chicago hat unseren Ländern die Möglichkeit gegeben, Bilanz zu ziehen und die Zukunft des Bündnisses zu gestalten, um sicherzustellen, dass wir über die richtigen militärischen Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert verfügen.
Die NATO – unser wichtigstes Bündnis – bietet Europa nicht nur militärisch, sondern auch diplomatisch und wirtschaftlich Sicherheit.
Das Bündnis bietet den Mitgliedsstaaten ein Netzwerk der Unterstützung und dient zur Abschreckung möglicher Gegner.
Die Interoperabilität und die Verbindungen, die während der sechs Jahrzehnte des Bestehens der NATO geschaffen und immer wieder verbessert wurden, sind unbezahlbar – und kurzfristig gesehen unersetzlich.
Das Bündnis war und wird weiterhin eine der besten Investitionen für die transatlantische und die globale Sicherheit sein.
Heute Abend möchte ich aber über etwas sprechen, das allen Anwesenden sehr am Herzen liegt – der Journalismus. Der Journalismus ist ein anspruchsvoller und seltsamer Beruf. Otto von Bismarck soll sogar zu folgendem Schluss gekommen sein: „Ein Journalist ist ein Mensch, der seinen Berufung verfehlt hat.“
Ich habe mir die Liste der 200 besten Berufe angesehen, die das Wall Street Journal in einem Bericht online veröffentlicht hat, um herauszufinden, an welcher Stelle Journalismus und Berichterstattung stehen.
Der beste Job im Jahr 2012 war Softwareingenieur – durchaus nachvollziehbar, da es eine sehr große Nachfrage nach neuen Versionen von „Angry Birds“ gibt.
Apotheker und Finanzplaner standen ebenfalls hoch im Kurs – denn sie schaffen die Illusion von zukünftigem Reichtum – und wer würde nicht dafür bezahlen?
Ich ging die Liste weiter durch. Kläranlagenbetreiber war auf Platz 117. Schuster – 147. Kerntechniker stand an 165. Stelle.
Leider musste ich bis zur Nummer 184 weiterlesen, um den „Reporter“ zu finden1.
Ich möchte aber, dass Sie sich an zwei Dingen trösten – erstens, dass Sie nicht an letzter Stelle stehen.
Zweitens: Obwohl er sich jeden anderen Beruf hätte aussuchen können, wenn er nicht gerade die Welt retten musste, war Superman Clark Kent, der Reporter. Sie haben denselben Beruf wie ein Superheld – nicht schlecht!
Journalisten berichten von der sich ereignenden Geschichte, und die Geschichte hat herausragende Journalisten hervorgebracht, von denen wir einige heute Abend hier würdigen.
Ich möchte besonders unseren Preisträgern danken und ihnen gratulieren – zu ihren exzellenten Beiträgen zum Journalismus und zur Kunst der Berichterstattung.
Der Journalismus liegt mir sehr am Herzen, da ich selbst für eine gewisse Zeit in diesem Bereich gearbeitet habe.
Ich war Herausgeber unserer Schülerzeitung 1972 und habe außerdem zwischen 1974 und 1976 das Magazin der Naval Academy mit herausgegeben. Zum Glück sind diese Artikel nur schwer auffindbar – sonst hätten Sie mich wahrscheinlich nicht eingeladen, heute Abend hier zu sprechen.
Meine Erfahrung mit Journalisten hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen und zu einer anhaltenden Begeisterung für diese Form der Kunst geführt, die ich heute selbst in meinen Büchern, Artikeln und Blogs ausübe.
Ich glaube fest daran, dass guter Journalismus nicht nur im Sammeln von Fakten besteht, sondern dass er auch eine Kunstform ist.
Für einen Journalisten ist Schreiben eine Leidenschaft. Dank dieser Leidenschaft wird ihre Kunst für uns spürbar, wenn sie über die Themen des Tages informieren.
Ich bin nicht allein, wenn ich von der Leidenschaft und der Bedeutung des Journalismus spreche.
Diese Gedanken sind im Bill of Rights verankert:
„Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das … die Rede- oder Pressefreiheit einschränkt.“ Ähnlich lautet auch die Grundrechtecharta der Europäischen Union: „Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“2
Es ist diese Vorstellung von der Redefreiheit, die wichtig ist, da niemand hätte vorhersehen können, wie wir heute kommunizieren und interagieren.
Das Format des Journalismus hat sich vom Pamphlet „Common Sense” von Thomas Paine, durch das die Revolution des kolonialen Amerika angeregt wurde, zu Twitter, Blogs, YouTube, Facebook und Skype entwickelt, durch die der arabische Frühling sich schnell ausbreitete.
Unabhängig vom Format ist es aber die Aufgabe eines Journalisten, Informationen zu präsentieren – eine Geschichte zu erzählen.
Der Autor und Booker-Preisträger Salman Rushdie, der noch immer von denjenigen verfolgt wird, die ihm die Redefreiheit nicht erlauben, fasst es kurz für uns zusammen:
„Die freie Rede ist das, worum es geht, das, was zählt. Die freie Rede ist das Leben selbst.”
Sein Streben nach Redefreiheit hat ihn fast das Leben gekostet.
Es gibt Journalisten, die in ihrem Streben nach der Wahrheit den höchsten Preis gezahlt haben.
Robert Capas plastische Fotografien und Ernie Pyles prosaische Beschreibungen werden geschätzt und verehrt, aber sie kosteten sie in den Kriegsgebieten des Zweiten Weltkriegs das Leben.
Sie alle sind Teil einer Berufsgruppe, die immer wieder ihren Mut beweist. Davor habe ich große Achtung.
Vor kurzem hat das International Press Institute (IPI) berichtet, dass seit dem 30. Mai 2012 61 Journalisten getötet wurden, was uns zu Zeugen des tödlichsten Jahres seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 19973 macht.
Marie Colvin und der französische Fotojournalist Remi Ochlik wurden Anfang des Jahres in Syrien getötet. Ein Zitat von Marie in einem ihrer Interviews hat mich besonders beeindruckt. Sie sagte: „Wir schicken diesen ersten Rohfassung der Geschichte nach Hause. Wir können etwas verändern und wir tun dies auch, indem wir den Schrecken des Krieges und insbesondere die Gräueltaten an Zivilisten offenlegen.“
Um die Wahrheit zu unterdrücken, müssen Regierungen zunächst einmal die Journalisten unterdrücken. Vielen Dank für Ihren unermüdlichen Einsatz für die Wahrheit, auch wenn dies manches Mal ein großes Risiko für Sie selbst bedeutet. Ihre Bemühungen machen die Welt zu einem besseren und sichereren Ort.
ABER, wenn wir ehrlich sind, sind wir als Gesellschaft nicht immer einer Meinung mit Journalisten oder der Art und Weise, wie einige von ihnen arbeiten. Ich würde sagen, dass sich einige zu sehr auf das Negative konzentrieren.
Es gibt manchmal die Tendenz, das Positive zu verdrängen und zu begraben – warum? Sensationen verkaufen sich besser.
Einige Journalisten erzählen im Vorhinein eine Geschichte und berichten dann über das, „was dazu passt“. Berichte aus Konfliktgebieten, wie dem Balkan in den Neunzigerjahren oder Kolumbien im vergangenen Jahrzehnt, passen beispielsweise in dieses Muster.
Aber wenn es gut gemacht wird, und ehrlich – denken wir nur einmal an die Texte von Hemingway als Journalist und Romanautor: Klar, unverfälscht und wahr ist Journalismus von großer Bedeutung und kann die Welt verändern.
Heute trägt Technologie dazu bei, die Wirkung von Journalismus sogar noch zu verstärken.
Jeder kann ein „Journalist“ sein – jeder hat ein Mikrofon und eine digitale Leinwand, über man die Welt informieren kann. Die große Herausforderung für Ihren Beruf in dieser komplexen Zeit wird es sein, in einer Welt unendlicher Verbindungen ein Gleichgewicht zwischen den „iReports“ auf CNN und der Ethik, den Standards und der Professionalität der Praktiker, wie Ihnen allen, herzustellen.
Wir haben während des arabischen Frühlings große Veränderungen in Afrika und im Nahen Osten erlebt.
Vieles wurde von ganz normalen Menschen berichtet, die eine Kamera und eine Internetverbindung hatten.
Der grausame tunesische Machthaber wurde nach 23 Jahren Herrschaft während einer Revolution ins Exil gezwungen, die durch soziale Netzwerke und Medien beschleunigt wurde.
Die demokratischen Kräfte in Libyen haben sich über soziale Medien organisiert und Aktionen durchgeführt.
Große Demonstrationen in Kairo und anderen ägyptischen Städten wurden über Twitter, facebook und YouTube angekündigt, um nicht nur in Ägypten die Aufmerksamkeit zu erhöhen, sondern weltweit, und so weitere Aufstände anzustoßen.
Die Fähigkeit, die Bürger schnell zu koordinieren und zu mobilisieren, ist ein wichtiges Merkmal sozialer Medien.
Das ist aber nicht das Merkmal, auf das wir uns konzentrieren sollten.
Die Macht sozialer Medien – und bei ihnen handelt es sich einfach um einen anderen Ort für Journalismus –, liegt insbesondere darin, dass sie die Fähigkeit besitzen, die Gräueltaten einer Regierung zu entlarven und der Welt zu zeigen. Diese Informationen begründen die Motivation für eine Revolution, sobald die Menschen erst einmal durch die Berichterstattung informiert und motiviert sind:
Durch Journalismus. Die Mobilisierung selbst ist letztendlich nur eine Frage der Logistik, auch wenn diese wichtig ist.
Und es ist diese Kraft der Wahrheit und Information, die sich schnell ausbreitet, und die Diktatoren am meisten fürchten – sei es von einem ausgebildeten Journalisten oder einem Collegestudenten mit einem Mobiltelefon mit Kamera.
Despoten wissen das und greifen im Internet scharf durch, um zu verhindern, dass die schädlichen Informationen weltweit verbreitet werden.4 Auch wenn einige damit keinen Erfolg haben, verfolgen Diktatoren weiterhin diese Strategie und versuchen, die Presse und das Internet zu kontrollieren und zu zensieren.
Wie nennen wir diese Menschen, die während des arabischen Frühlings Instrumente der sozialen Medien genutzt haben? Protestierende? Aktivisten? Revolutionäre? Vielleicht… Journalisten?
Ganz gleich, welchen Namen wir ihnen geben, sie gaben uns… die Geschichten. Sie schrieben die Berichte, die die Welt bewegten. Zusammen mit Ihnen allen.
Wir müssen weiterhin Technologien ausfindig machen und nutzen, die unsere Fähigkeit verbessern, schnell mit anderen Menschen in Verbindung zu treten, um Geschichten und Erfahrungen auszutauschen und Geschichte gemeinsam zu erleben.
Die Nutzung sozialer Medien in der Berichterstattung ist für uns relativ neu. Sie haben das Potenzial, unabhängig von der verwandten Methode das Bewusstsein unverzüglich und weltweit zu erhöhen – dies auf ehrliche und saubere Art und Weise zu erreichen ist der eigentliche Auftrag eines Journalisten.
Abschließend möchte ich daran erinnern, dass der Arthur Burns Award ein Sinnbild für die hartnäckigen und engagierten Bestrebungen von Journalisten ist, der Welt die Geschichten mitzuteilen.
Ich teile die Sicht des frühen amerikanischen Herausgebers Henry Luce, der sagte, dass „er Journalist geworden ist, um so nah wie möglich am Herzen der Welt zu sein.
“Ich blicke mit Respekt und vielleicht auch etwas neidisch auf die heutigen Preisträger.
Sie alle sind Teil eines mutigen und unerschrockenen Berufsstandes, der zwar nicht perfekt ist, aber das ist keiner.
Ihre Berufung aber führt Sie ans „Herz der Welt“.
Vielen Dank.
- http://www.careercast.com/content/top-200-jobs-2012-181-200 (Accessed 17 May 2012) Source site for story.
- Full legal effectupon entry into the Treaty of Lisbon on 1 December 2009. Under the Charter, the EU must act and legislate consistently with the Charter.
- http://www.freemedia.at/our-activities/death-watch/countryview.html?tx_incoredeathwatch_pi1%5BshowUid%5D=1187&tx_incoredeathwatch_pi1%5BshowYear%5D=2012&cHash=03237005dd
- http://www.nytimes.com/2011/01/30/weekinreview/30shane.html?_r=1&hp
Originaltext:
“The Heart of the World”
Quelle:
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