Dienstag, 18. Oktober 2011

Olaf Scholz: Grußwort auf dem Gala-Dinner zum Lateinamerika-Tag




 

Grußwort auf dem Gala-Dinner zum Lateinamerika-Tag

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Liesenfeld,
sehr geehrter Herr Präses Melsheimer,
sehr geehrter Herr Dr. Rösler,
Exzellenzen,
Vertreter des konsularischen Korps,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

unsere Stadt hat heute und morgen, wie in jedem „ungeraden“ Jahr, den Lateinamerika-Tag in ihren Mauern – so sagte man früher. 

In diesem Jahr möchte ich Sie herzlich und mit ganz aktuellem Bezug begrüßen. Im Januar 2011 ist Hamburg als Sitz einer gemeinsamen Stiftung der Europäischen Union und der lateinamerikanischen und Karibik-Staaten gewählt worden, die im November ihre Arbeit aufnimmt. 

Es geht darum, die biregionale Partnerschaft und Zusammenarbeit zu stärken. Die Stiftung soll langfristig als internationale Organisation auf Grundlage des Völkerrechts agieren, getragen von den Teilnehmerstaaten und der Europäischen Union insgesamt.

Ich freue mich darüber sehr und wenn ich eben die Redewendung mit den Mauern benutzt habe, so ist die Wahrheit ja diese: Stadtmauern sind in Hamburg längst Geschichte. 

Stolz war die Stadt schon immer auf das Gegenteil: „Tor zur Welt“ zu sein. Auf der offiziellen Webseite des Hamburger Hafens findet sich der Slogan noch an vielen Stellen und nach wie vor ist es ein schönes Bild, gleichzeitig ein Versprechen: Tor zur Welt zu sein. Man kann es von beiden Seiten durchschreiten oder auf dem Wasser hindurchfahren – es ist in beide Richtungen offen.

Häfen sind nicht von ungefähr ein sehr reales Symbol für weltweiten Handel und zunehmend auch für weltweite Kooperation. 

Wenn wir in Hamburg sagen: 

Unser Hafen wird weiterhin das belastbare Fundament unseres wirtschaftlichen Erfolges sein – und genau das sagen wir und tun etwas dafür –, dann wird Montevideo für sich dasselbe denken. Und viele andere große Hafenstädte Lateinamerikas und der Welt genauso. 

Der Hamburger Hafen verbindet deutsche Unternehmen mit ihren Absatzmärkten in aller Welt. Er verbindet aber auch Ideen, Initiativen, Kooperationen miteinander, ohne die in der globalisierten Welt nichts mehr geht.

Lateinamerika, Europa, Deutschland und Hamburg werden, da bin ich optimistisch, noch näher zueinander finden und besser kooperieren. 

Unser heutiger Ehrengast ist Präsident der Republik östlich des Uruguay, also des Landes, dessen Hauptstadt Montevideo Sitz des „Mercosur“ ist, des Gegenstücks, wenn man so sagen darf, zur Europäischen Union. Uruguay hat dort derzeit auch die Präsidentschaft. Heute früh hat Senator Horch schon die Verhandlungen zwischen Mercosur und EU über ein Freihandelsabkommen erwähnt. 

Herr Präsident, Senor Mujica, ich muss Hamburgs Position hier nicht wiederholen. Wir wünschen den beteiligten Ländern bei der sicher schwierigen Thematik gute Entscheidungen.

Meine Damen und Herren,

das Leitmotiv des heutigen Tages lautet „Lateinamerika und Deutschland: Partner im Umweltbereich.“ Das ist ja ein großes Wort und ich denke, dass es hier hauptsächlich um eine Zielvorstellung geht, auch wenn solche Kooperationen schon bestehen und sich manche Partnerschaften heute konkretisiert haben. Richtig ist, dass uns das Interesse eint – einen muss –, im Prozess der Wirtschaftskooperation und Wohlstandsvermehrung dem Umweltschutz und der Nachhaltigkeit einen neuen und höheren Stellenwert einzuräumen. Es gibt dazu in Wahrheit auf beiden Seiten des Atlantiks auch keine gesunde Alternative.

Die Bedeutung der Häfen und des Handels habe ich erwähnt. Hamburg ist aber auch eine bedeutende Industriestadt und baut ganz besonders auf die Zukunftsbranchen, von der Luftfahrtindustrie bis hin zu den erneuerbaren Energien. Ich bin überzeugter Anhänger des ingenieurgetriebenen Umweltschutzes und dass der längst auch ein Wirtschaftsfaktor ist, sieht jeder. Hamburg ist die Hauptstadt der Windenergie in Deutschland, spätestens seit Siemens angekündigt hat, ihr neues Headquarter Windenergie hier bei uns einzurichten.

Nachhaltigkeit, was genau ist das? Wie kann eine Stadt wie Hamburg – einerseits, realistisch betrachtet, ein Stecknadelkopf auf dem Globus, andererseits eine brausende Metropole mit entsprechendem Ressourcenverbrauch – wie kann eine Stadt wie Hamburg ihren Erfolgen auf etlichen Ebenen des Umweltschutzes neue hinzufügen? Wie kann sie mit anderen Städten kooperieren?

Ich glaube, man müsste da ein wenig ausholen – eigentlich ein wenig weiter, als es ein kurzes Grußwort erlaubt –, aber lassen Sie mich einen Gedankengang erwähnen, der mich lange beschäftigt und der sich auch hier aufdrängt. Was ist die Metropole, die große Stadt eigentlich wirklich, oder was ist sie mehr: Teil eines Problems oder Teil einer Lösung?

Heute beim Senatsfrühstück mit unserem Ehrengast habe ich die Hafenstadt Montevideo als einen der traditionellen Sehnsuchtsorte vieler Deutscher und Hamburger bezeichnet. Und daran erinnert, dass überhaupt Südamerika früher für Viele ein gedanklicher und auch ein ganz realer Fluchtpunkt gewesen ist, ein Traum von Freiheit und besserem Leben, den sie hierzulande in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht verwirklichen konnten.

In unserer heutigen Zeit wird Lateinamerika – wiederum von hier aus gesehen – häufig mit den zahlreichen so genannten Megacities assoziiert, wird dabei ein oft erschreckendes Bild gemalt: Riesenstädte, die kaum noch regierbar seien, die mit zu vielen Menschen auf zu engem Raum nicht nur zu viel Smog, sondern überhaupt zu viele Probleme aller Art produzieren. Die aber weiter wachsen, was ja auch bedeutet, dass Ihre Attraktivität für Zuwanderer aus den ländlichen Regionen nicht geschwunden ist.

Warum nicht? Weil Städte, andererseits, die großartigste Erfindung der Menschheit sind. Das behauptet jedenfalls der US-amerikanische Ökonomieprofessor Edward Glaeser und er holt in seinem Buch „Triumph of the City“ starke, lange verschüttet gewesene Tatsachen und Argumente ans Licht.

Sie korrespondieren mit Entwicklungen, die gerade in Lateinamerika stattfinden und hoffnungsvoll stimmen. In Bogotá in Kolumbien – zum Beispiel – kann man besichtigen, wie die Stadt öffentliche Räume umgestaltet hat, wie sie den öffentlichen Nahverkehr mit einem Schnellbussystem und den nicht-motorisierten Transport mit dem Aufbau von Fahrradwegen verbessert hat.

In Rio de Janeiro in Brasilien – anderes Beispiel – ist es in viel versprechender Weise gelungen, Kriminalität zurückzudrängen und verloren geglaubte Favelas und andere Teile der Stadt zurückzuholen, den Bewohnern Alternativen und bessere Lebensmöglichkeiten zu bieten.

Solche Entwicklungen sind möglich, wenn auch langwierige und mühsame Prozesse. Sie sind möglich, weil – da foIge ich Glaeser und seinen Mitstreitern – weil große Städte unverändert faszinierende Laboratorien gesellschaftlichen Lebens sind. Und mit Sicherheit gilt für alle Kontinente: dass das Stadtleben dem Leben auf dem Land eigene Angebote, Chancen, Vorzüge entgegensetzt.

Nicht minder richtig ist – wenn wir über Umwelt- und Klimaschutz reden –, dass die Städte auch in der Pflicht sind. Hamburg als Europäische Umwelthauptstadt 2011 hat sich in die Pflicht nehmen lassen.

Den Städten fällt eine Schlüsselrolle zu, wenn es um den schonenden Umgang mit Ressourcen und Energie geht, um die Anpassung an den Klimawandel oder den Versuch, ihn wenigstens abzubremsen.

Im Jahr 2025 werden einer Studie der Vereinten Nationen zufolge fast 60 Prozent der Menschen in Ballungszentren leben – knapp fünf Milliarden gegenüber 3,3 Milliarden heute – und viele von ihnen in Megacities mit mehr als fünf Millionen Einwohnern. Schon heute – heißt es – verbrauchen die Städte, die gerade einmal knapp drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, gut 80 Prozent aller genutzten Ressourcen.

Dem muss man zwar entgegenhalten, dass die Städte als Standorte von Industrie, Handel und Wandel auch das Land mitversorgen und dieselbe Statistik nach dem Verursacherprinzip anders aussieht. Aber es geht ja nicht um Statistik, sondern um unsere globale wie regionale Zukunft und fest steht, dass zum Beispiel in unseren Breitengraden das Heizen von Gebäuden – leider geht es ja bald wieder los damit – den meisten Energieverbrauch verursacht, dass es also auch das größte Einsparpotenzial bietet.

In anderen Teilen der Welt sind die Probleme ganz andere. Hamburg würde sich auch als Europäische Umwelthauptstadt verheben, wenn es ein Rollenmodell für Städte überall auf der Welt sein wollte. Aber Hamburg kann an dem Beweis mitwirken – auch, meine Damen und Herren, durch Ihr Zutun am heutigen und morgigen Tag –, dass Wachstum und Umweltqualität durchaus gut zusammenpassen. Windenergienutzung, neue Methoden des Wärmedämmens und Energiesparens, Transport von Gütern auf den Wasserwegen, Klimaschutz durch effizientere Energienutzung – immer mehr Unternehmer entdecken, in Euro, Dollar und anderen Währungen, welche enormen wirtschaftlichen Möglichkeiten der Umweltschutz, der sparsame Umgang mit Ressourcen in sich bergen. Hamburgs UmweltPartnerschaft beweist es eindrucksvoll.

In Lateinamerika leben rund 80 Prozent der Bevölkerung in Städten, in den 198 größten davon insgesamt 260 Millionen Menschen. Schon jetzt generieren diese großen Städte rund 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, alleine die Hälfte davon entsteht in den zehn größten Metropolen.

Fluch oder Segen? Beides kann zutreffen, sogar gleichzeitig. Es ist offensichtlich, dass fast überall auf der Welt den Städten eine herausragende Bedeutung in der Wirtschaftsentwicklung zukommt. Es ist ebenso deutlich erkennbar, dass es außerhalb unserer Region ein ganz anderes, viel rasanteres Wachstum gibt, mit all seinen Chancen und all seinen Risiken. In Sao Paulo etwa ist die Bevölkerungsdichte schon jetzt dreimal höher als in Hamburg.

Für Hamburgs Wachstum wissen wir: Wer Flächen schonen will, muss klug verdichten. Wenn wir die gesamte hiesige Metropolregion betrachten, dann reden wir von fünf Millionen Einwohnern. Hamburg muss eine starke Identität entwickeln als Zentrum im Herzen Europas, das immer mehr an Anziehungskraft gewinnt. Dazu gehören auch kurze Wege und Wohnraum, der bezahlbar ist. Viele Wohnungen auf weniger Fläche, das ist ökologisch, wenn man es richtig macht. Flächenfraß hingegen ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können.

Meine Damen und Herren,

noch viel wird in den kommenden Jahren hierzu gedacht und gesagt werden müssen. Städte sind Chancen. Sie probieren aus, was anderswo nicht einmal geträumt wird. Schaffen sie ein kreatives Klima, dann ahnen sie eher als andere, was eine bessere Zukunft sein kann. Hamburg hat schon immer weltweit nach den besten Ideen und den besten Lösungen gesucht. Wir lernen gerne aus guten Beispielen.

Es geht also überhaupt nicht einseitig um gedankliche „Entwicklungshilfe“ aus Europa, sondern um einen partnerschaftlichen Austausch von Know-How und den Transfer von neuer Technik, die bezahlbar ist. Auch dafür ist Hamburg der bestmögliche Platz. Und ich hoffe, dass Hamburgs diesjähriger Lateinamerika-Tag diesen Austausch voran gebracht hat.

Ich wünsche Ihnen allen weiterhin einen inhaltsreichen Austausch – auch morgen beim „Wirtschaftstag Chile“ – und allen Gästen einen weiterhin angenehmen Aufenthalt in Hamburg. 


Es gilt das gesprochene Wort.


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