Montag, 31. Januar 2011

Deutsche Bundeskanzlerin Merkel: "Das Wichtigste ist, dass diese Regierung einen klaren Kompass für den Abbau der Schulden hat"


Bundeskanzlerin Angela Merkel


Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel machte im Interview mit dem Hamburger Abendblatt den klaren Kurs der CDU in Sachen Haushalts- und Finanzpolitik deutlich.

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel sagte: "Unseren Haushalt konsequent in Ordnung zu bringen ist gut für unser Land." Gleichzeitig habe die Bundesregierung bereits Steuern für Bürger und Unternehmen zum 1. Januar 2010 gesenkt und Steuervereinfachungen beschlossen. "Wenn wir wieder genügend finanziellen Spielraum haben, werden wir die kleinen und mittleren Einkommen weiter entlasten können, aber jetzt, nach der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Langem, ist es das Wichtigste, unsere Schulden abzubauen und wieder zu einem soliden Haushalt zu kommen", so Merkel.


Bundeskanzlerin Angela Merkel "Eine solide Finanzpolitik schafft Vertrauen in unser Land und kommt allen zugute"

Das Interview im Wortlaut:

Hamburger Abendblatt: Frau Bundeskanzlerin, stellen Sie sich einmal vor. Sie sind 18 Jahre alt und machen gerade Ihr Abitur. Überlegen Sie, für einige Zeit zur Bundeswehr zu gehen?
 
Angela Merkel: Wenn ich sportlicher wäre, käme die Bundeswehr für mich durchaus infrage. Aber weil ich nicht sportlich bin, würde ich als Mädchen wahrscheinlich etwas in einem freiwilligen sozialen Dienst machen.

Abendblatt: Was spricht dafür, sich freiwillig zur Bundeswehr zu melden?
 
Merkel: Man kann etwas Gutes für sein Land tun und dabei wichtige Lebenserfahrung sammeln.

Abendblatt: Eine Kadettin stürzt aus der Takelage der "Gorch Fock" in den Tod, in Afghanistan erschießt ein Hauptgefreiter bei Waffenspielen seinen Kameraden, Feldpost von Soldaten wird illegal geöffnet nicht gerade eine Empfehlung für den Dienst bei der Bundeswehr...
 
Merkel: Es ist unverzichtbar, all das umfassend aufzuklären. Wir leben glücklicherweise in einer Demokratie, in der berichtet wird, was nicht in Ordnung ist. Dennoch sollten wir durch solche furchtbaren Unfälle und Vorfälle nicht die Bundeswehr als Ganzes infrage stellen. Es sind Einzelfälle, die öffentlich diskutiert werden, und dann ziehen wir die nötigen Schlüsse daraus. Bei der Bundeswehr geht es jetzt konkret darum, aufzuklären, was wirklich geschehen ist. Dazu müssen wir die staatsanwaltlichen Ermittlungen abwarten und uns vor Pauschalurteilen hüten. Die überwältigende Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten erfüllt ihre Aufgabe hervorragend.

Abendblatt: Machen Sie sich keine Sorgen um den Zustand der Truppe?
 
Merkel: Nein, ich erlebe ja selber bei Truppenbesuchen, zuletzt in Afghanistan, wie die Stimmung in der Truppe ist. Im Übrigen vertraue ich dem Verteidigungsminister, der alles auf den Tisch bringen und dann die nötigen Konsequenzen ziehen wird. 

Abendblatt: Verteidigungsminister zu Guttenberg hat den Kommandanten der "Gorch Fock" suspendiert und lässt alle Teilstreitkräfte auf menschenverachtende Rituale überprüfen. Notwendige Schritte?
 
Merkel: Mit der Suspendierung ist kein Urteil gesprochen, sie dient auch dem Schutz des Betroffenen, solange die Vorgänge an Bord untersucht werden. Sinnlose oder sogar demütigende Rituale haben in der Bundeswehr keinen Platz. Das widerspricht unserem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform. Und wenn es jetzt Hinweise auf Vorgänge gibt, dann ist es Aufgabe des Ministers, sie untersuchen zu lassen, und genau das tut er.

Abendblatt: Welche Konsequenzen sind denkbar? Kann die "Gorch Fock" stillgelegt werden?
 
Merkel: Ich kann und will den Untersuchungen nicht vorgreifen. Es ist richtig, nach Rückkehr des Schiffes und nach Abschluss der Untersuchungen die angemessenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir müssen das Ergebnis der Untersuchungen abwarten.

Abendblatt: Ist die Ausbildung auf einem Segelschiff in einer modernen Armee noch sinnvoll?
 
Merkel: Ich finde es immer hilfreich, wenn man etwas von der Pike auf lernt, zum Beispiel zu verstehen, wie Wind und Segel zusammenspielen. Ich persönlich bin ganz froh, dass ich in der Lage bin, einen Ofen zu heizen und über dem Feuer etwas zu kochen, wenn der Strom ausfällt. Das beruhigt mich.

Abendblatt: Selbst Helmut Schmidt kritisiert, dass Guttenberg den Kommandanten der "Gorch Fock" abgesetzt hat, ohne ihn vorher anzuhören. Sind Sie vom Krisenmanagement des Verteidigungsministers überzeugt?
 
Merkel: Ja. Karl-Theodor zu Guttenberg handelt vollkommen richtig.

Abendblatt: Wird Guttenberg von der Opposition deswegen so scharf attackiert, weil sie spürt: Da ist einer, der hat Kanzlerqualitäten?
 
Merkel: Es ist die Aufgabe der Opposition, jede Gelegenheit zum Angriff auf eine Regierung zu nutzen - nur hat sie deshalb in der Sache noch lange nicht recht. Die Vorwürfe der Opposition gegen den Verteidigungsminister laufen ins Leere.

Abendblatt: Hat Guttenberg das Zeug zum Kanzler?
 
Merkel: Er ist ein herausragender Minister. Und ich bin froh, viele herausragende Minister in meinem Kabinett zu haben.

Abendblatt: Guttenbergs Bundeswehrreform sollte auch den Haushalt entlasten, doch der Minister lehnt es ab, die vorgesehenen 8,3 Milliarden Euro einzusparen. Gibt das Kabinett seinem Star nach?
 
Merkel: Das Wichtigste ist, dass diese Regierung einen klaren Kompass für den Abbau der Schulden hat. Unseren Haushalt konsequent in Ordnung zu bringen ist gut für unser Land - und außerdem verpflichtet uns die Schuldenbremse im Grundgesetz dazu. Das heißt für den Verteidigungsminister und alle anderen Minister, dass jeder nach seinen Möglichkeiten sparen muss. Der Verteidigungsminister geht mit seiner Bundeswehrreform einen notwendigen, aber natürlich auch nicht einfachen Weg. Meine Unterstützung hat er dabei.

Abendblatt: Frau Merkel, in Deutschland hat ein Superwahljahr begonnen. Wird es Union und FDP gelingen, die Mehrheit im Bundesrat zurückzuerobern?
 
Merkel: Sieben Landtagswahlen machen noch nicht gleich ein Superwahljahr ...

Abendblatt: ... wann wird es denn super? Wenn die CD U gewinnt?
 
Merkel: Nur mal zum Vergleich: 2009 hatten wir einschließlich aller Kommunalwahlen, der Europawahl und der Bundestagswahl 17 Wahlen! Aber im Ernst: Wir wollen überall sehr gut abschneiden. Und wie ich finde, haben wir auch gute Chancen.

Abendblatt: Wo?
 
Merkel: Überall. In Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland- Pfalz zum Beispiel haben wir die besten Aussichten. Auch in Hamburg stehen wir insgesamt besser da als noch vor wenigen Monaten. Natürlich müssen wir kämpfen. Aber so ist es in der Politik immer: Wer kämpft, der kann es schaffen.

Abendblatt: Hamburg ist Ihre Geburtsstadt. Hat Olaf Scholz das Format eines Ersten Bürgermeisters der Freien- und Hansestadt?
 
Merkel: Christoph Ahlhaus hat das Format eines hervorragenden Bürgermeisters. Das zeigt er den Hamburgern jeden Tag. Olaf Scholz ist ein ernst zu nehmender Mitbewerber. Nach dem überraschenden Ende der schwarz-grünen Koalition war die Ausgangslage des Wahlkampfs zunächst nicht ganz einfach. Aber jetzt erlebe ich eine motivierte Hamburger CDU.

Abendblatt: Können Sie drei Gründe nennen, warum die Hamburger Christoph Ahlhaus wählen sollen?
 
Merkel: Auch noch mehr, wenn Sie wollen. Christoph Ahlhaus war ein sehr guter Innensenator, und er ist ein sehr guter Bürgermeister. Die CDU hat in Hamburg vieles verbessert: die Sicherheit, die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Hamburg ist Umwelthauptstadt und hat das Konzept der "wachsenden Stadt" eindrucksvoll umgesetzt. Jetzt muss die Elbvertiefung kommen. Für all diese Ziele und vieles mehr steht Christoph Ahlhaus.

Abendblatt: Ole von Beust ließ die Hamburger jetzt wissen, dass er geblieben wäre, wenn er geahnt hätte, dass die schwarz-grüne Koalition ohne ihn zerbricht. Wie wirkt das auf Sie?
 
Merkel: Ole von Beust hat sich große Verdienste um Hamburg erworben, und nach seiner persönlichen Entscheidung im letzten Jahr schaut die CDU jetzt nach vorne, weil wir für Hamburg und seine Bürger so vieles erreichen wollen.

Abendblatt: Erst Roland Koch, dann Beust, jetzt Peter Müller. Handelt ein CDU-Ministerpräsident im Sinne der Parteivorsitzenden, wenn er sich aus Gründen der Selbstverwirklichung davonmacht?
Merkel: Ole von Beust, Peter Müller und Roland Koch haben ihrem Land eine lange Zeit gedient und viel bewirkt. Jetzt zeigen sie, dass für sie noch andere Wege möglich sind, und das respektiere ich. Wird nicht immer gerne gefordert, Politiker sollten nicht nur die Politik von innen kennen und nicht an ihren Sesseln kleben?

Abendblatt: Die stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Röttgen und Schavan sagen auch nach dem Scheitern der Hamburger Koalition: Schwarz-Grün ist nicht tot. Geben Sie ihnen da recht?
 
Merkel: Schwarz-Grün hat in Hamburg nicht einmal eine ganze Legislaturperiode funktioniert. Die Koalition ist an den Grünen gescheitert - aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Ich bleibe dabei: Der beste Koalitionspartner für die Union ist die FDP, weil wir die größten inhaltlichen Übereinstimmungen haben und unsere Ziele am besten mit den Liberalen umsetzen können. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass es ein gut arbeitendes Bündnis mit FDP und Grünen im Saarland oder schwarzgrüne Zusammenarbeit auf der kommunalen Ebene gibt.

Abendblatt: Sie bleiben also dabei: Schwarz-Grün ist ein Hirngespinst.
 
Merkel: Ja, denn es geht nicht um Schwarz-Grün, sondern darum, dass Rot-Rot-Grün im Bund keine Sekunde mit einer Koalition zögern würden, wenn sie die Mehrheit hätten.

Abendblatt: Sehen Sie keine Gemeinsamkeiten von CDU und Grünen?
 
Merkel: Es gibt selbstverständlich manche Übereinstimmung im parlamentarischen Alltag, aber in Wirtschaftsfragen. Energiefragen und in der Außenpolitik große Unterschiede.

Abendblatt: Der FDP-Vorsitzende Westerwelle macht sich auf zu neuen Ufern und kann sich plötzlich Koalitionen mit der SPD wieder vorstellen...
 
Merkel: Jede Partei entscheidet für sich, was sie für das Beste hält. Ich bin überzeugt, dass eine Regierung von Union und FDP die besten Voraussetzungen für eine gute Politik bietet.

Abendblatt: Die FDP schrammt in Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde entlang. Wie kann die Union den Liberalen helfen?
Merkel: In der ganzen Bundesregierung helfen wir einander am besten, wenn wir weiter entschieden Politik für die Menschen in unserem Land machen und ich bin überzeugt, dass wir da schon jetzt gute Ergebnisse vorweisen können.

Abendblatt: Die FDP ist also Ihr Wunschpartner. Aber was ist, wenn Guido Westerwelle gar nicht mehr der Wunschvorsitzende der FDP ist?
 
Merkel: Er ist Vorsitzender der FDP, und ich arbeite sehr gerne mit ihm zusammen.

Abendblatt: In Superwahljahren drohen Dauerwahlkampf und Entscheidungsstau. Wie lange sollen Hartz-IV-Empfänger noch auf mehr Geld warten?
 
Merkel: Die Bundesregierung hat pünktlich zum Jahresende eine verfassungskonforme Hartz-IV-Neuregelung vorgelegt, die mit dem Bildungspaket für Kinder eine wichtige Verbesserung mit sich bringt. Die Verzögerung liegt am Widerstand der Opposition. Ich hoffe aber, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft im Bundesrat die Lösung finden. Der Vermittlungsausschuss tagt seit Wochen - nahezu ohne Ergebnis.

Abendblatt: Müsste nicht langsam die Kanzlerin eingreifen?
 
Merkel: Ich bin über jede Phase des Vermittlungsverfahrens gut unterrichtet, aber seien Sie gewiss, dass unsere Verhandler das sehr gut machen. Bei gutem Willen auf allen Seiten werden wir uns auch einigen können.

Abendblatt: Ist eine Erhöhung des Regelsatzes um mehr als fünf Euro ausgeschlossen?
 
Merkel: Ich habe bisher noch kein einziges Argument gehört, das Ursula von der Leyens Berechnungen überzeugend infrage stellt. Sie beruhen auf Daten und Fakten, die von ihr sehr sorgfältig geprüft worden sind.

Abendblatt: Auf welchen Feldern ist Bewegung möglich?
 
Merkel: Man braucht in einem Vermittlungsverfahren ja nicht Bewegung um der Bewegung willen. Es geht darum, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Die Richter erwarten eine nachvollziehbare und für alle transparente Berechnung des Hartz-IV-Satzes - und genau das hat das Arbeitsministerium geliefert. Die Höhe des Hartz-IV-Satzes entscheidet im Übrigen auch über die Frage, inwieweit sich die Aufnahme von Arbeit lohnt. Wir sind überzeugt: Wer arbeitet, soll mehr haben, als wenn er nicht arbeitet. Auch daran richtet sich die Diskussion aus.

Abendblatt: Sie haben die Wahl auch mit dem Versprechen gewonnen, die Steuern massiv zu senken. Wann wird es so weit sein?
 
Merkel: Wir haben die Steuern schon gesenkt, und zwar zum 1. Januar 2010 für Bürger und für Unternehmen. Das wird gerne vergessen. Und wir haben jetzt Steuervereinfachungen beschlossen, die wiederum den Bürgern und den Unternehmen Mühen und Kosten ersparen. Wenn wir wieder genügend finanziellen Spielraum haben, werden wir die kleinen und mittleren Einkommen weiter entlasten können, aber jetzt, nach der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Langem, ist es das Wichtigste, unsere Schulden abzubauen und wieder zu einem soliden Haushalt zu kommen. Ich habe den Eindruck, dass die meisten Menschen das sehr gut verstehen.

Abendblatt: Die Wirtschaftslage ist besser als vor 15 Monaten, als Sie den Koalitionsvertrag aufgesetzt haben. Entlastungen, die damals möglich erschienen, sollten jetzt erst recht möglich sein...
 
Merkel: Nach der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise sind die Spielräume noch nicht da, und wir haben noch allen Grund, konsequent weiter unsere Schulden zu verringern. Eine solide Finanzpolitik schafft Vertrauen in unser Land und kommt allen zugute.

Das Gespräch führten Jochen Gaugele, Karsten Kammholz und Claus Strunz. In: Hamburger Abendblatt, 

Stand 29.01.2011

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