Freitag, 13. August 2010

Rede von Bundespräsident Christian Wulff bei der Vereidigung der Offizieranwärter der Crew VII/2010

Änderungen vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort.

"Gottes sind Wogen und Wind, Segel aber und Steuer, daß ihr den Hafen gewinnt, sind euer."

Vielleicht kennen Sie dieses Gedicht - der Dichter Johann Wilhelm Kinau hat es geschrieben. Unter seinem Künstlernamen Gorch Fock ging er in die Geschichte ein und gab dem Segelschulschiff der Deutschen Marine diesen Namen. Heute geht es um Sie - um junge Frauen und Männer - die eben diese Segel und das Steuer mit ihrem Können und Wissen beherrschen wollen, um das Schiff in sichere Häfen zu bringen.

Zwar scheint es, als ob die Beherrschung von Segel und Steuer in einer Zeit, in der uns Automatisierung und Digitalisierung nicht nur in der Seefahrt viele Handgriffe abnehmen, an Bedeutung verloren haben könnte. Doch bei aller Technik soll und muss am Ende der Mensch die wesentlichen Entscheidungen treffen und die Verantwortung dafür übernehmen. Sie, die Frauen und Männer der Crew VII/2010, wollen und werden sich dieser Herausforderung stellen.

Mit dem Eid, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen sowie Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, bekennen Sie sich heute öffentlich zu herausgehobener Verantwortung. Aus diesem Anlass und zum hundertjährigen Jubiläum der Marineschule hier in Mürwik habe ich die Einladung der Marine gerne angenommen, unabhängig davon, dass mein offizieller Antrittsbesuch bei den Streitkräften noch folgen wird.

Mit Ihrer Entscheidung, sich als Offizieranwärter freiwillig zu melden, haben Sie keinen einfachen Weg gewählt. Es ist kein Weg, der Sie schnell zu materiellem Reichtum und einem komfortablen Lebensstil führt. Im Gegenteil: Was sie erwartet, sind die Gefahren der See und die Herausforderungen des Einsatzes. Ihren Entschluss, Ihre ganze Kraft in den Dienst der Bundesrepublik Deutschland zu stellen, persönliche Belange zurückzustellen, Verantwortung zu übernehmen und sich für andere einzusetzen, begrüße ich und unterstütze ihn von Herzen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie daraus berufliche Erfüllung und persönliche Zufriedenheit gewinnen.

Was kann und was muss unser Land von Ihnen erwarten? Es erwartet Ihre Bereitschaft, sich Fachkenntnisse anzueignen, sich in einer Gemeinschaft ein- und auch unterzuordnen, Leistungen gemeinsam und für andere zu erbringen und dabei echte Kameradschaft zu leben. Anders als damals werden diese Fähigkeiten heute aber nicht vermittelt, um die Beherrschung der See in den Dienst staatlichen Weltmachtstrebens zu stellen. Sie sollen heute dazu dienen, Brücken über das Meer zu bauen und Völker zu verbinden. Die Erfahrung zweier Weltkriege und das damit verbundene Leid machen die Kontrolle militärischer Gewalt durch eine demokratische Gesellschaft unabdingbar. Nie wieder soll diese Gewalt missbraucht werden. Ich ermutige Sie, als Staatsbürger die politischen Debatten unserer demokratischen Gesellschaft aktiv zu verfolgen. Sie sollten die gründlichen Entscheidungsprozesse als Bürger und als Soldaten nachvollziehen können, die in unserer Demokratie dem Entschluss vorangehen, Sie und die Ihnen anvertrauten Soldatinnen und Soldaten in Einsätze zu schicken.

Seit mehr als fünf Jahrzehnten wird die Ausbildung der Seeoffizieranwärter hier an der Marineschule Mürwik von der demokratischen Tradition der Bundeswehr geprägt. Seit 20 Jahren treten nun Offizieranwärter und Offizieranwärterinnen aus Ost und West gemeinsam ihren Dienst im "roten Schloss am Meer" an. Die Teilung unseres Landes durch eine Mauer, die von der DDR genau heute vor 49 Jahren gebaut wurde, ist - Gott sei Dank - Geschichte.

Die Bundeswehr ist nach dem Mauerfall ein Vorbild für Integration: Als "Armee der Einheit" haben die Streitkräfte eine Vorreiterrolle beim Zusammenwachsen und der Überwindung der Teilung seit 1989/90 eingenommen. Danach gehört auch die gelungene Integration der Frauen zur Geschichte der Bundeswehr und dieser Schule: Ich habe mit Freude von der hohen Zahl der weiblichen Rekruten unter Ihnen erfahren. Dies ist für mich auch ein Beispiel dafür, wie das Streben nach gemeinsamen Werten und Zielen hilft, überkommene gesellschaftliche Rollenbilder zu überwinden. Auch bei den Streitkräften gilt: Chancengerechte Karrierewege für Frauen und Männer sichern die Zukunftsfähigkeit unsere Landes.

Der Dienst an Bord verbindet Menschen verschiedenster Herkunft. Die Werte und Ideale, zu denen Sie sich heute förmlich bekennen, verpflichten in unserem Land junge Frauen und Männer, egal wo sie oder ihre Eltern geboren sind. Es ist es gut, wenn diese Mitbürger sagen: "Dies ist meine Heimat, hier bin ich zu Hause, für dieses Land trete ich ein".

Und schließlich verbindet die Ausbildung hier in Mürwik auch über Landesgrenzen hinweg. Dies beweist die Delegation der polnischen Marineakademie in Gdingen ebenso wie die jungen Soldaten aus Frankreich, Albanien, Aserbeidschan, Jemen, Kasachstan, Korea, Montenegro, Namibia und Thailand, die zu Ihrer Crew gehören. Ihnen allen meine herzlichen Grüße.

Wenn die Schiffe der Deutschen Marine in Auslandshäfen zu Besuch sind, richtet sich der Blick der Öffentlichkeit auf Sie. Sie werden dies auf Ihrer Ausbildungsreise auf der "Gorch Fock" erleben. Ihr Auftreten und Ihr Umgang mit anderen Kulturen ist eine Visitenkarte für Deutschland. Es liegt an Ihnen, das Bild Deutschlands in der Welt mitzubestimmen und zu beweisen, dass die See nicht trennt, sondern Länder und Kulturen miteinander verbindet.

Die Nationen unserer Welt sind heute eng miteinander verbunden. Unser Wohlstand und ein Gutteil unserer Zukunft hängen von der internationalen Zusammenarbeit und Arbeitsteilung ab. Seit mehr als 50 Jahren spannt die Marine ein Band über die See: Im Bündnis mit unseren Partnern in Nordamerika in der NATO ebenso wie mit unseren Nachbarn in Europa. Sie, die Offizieranwärter der Crew VII/2010, werden die Verantwortung in Einsätzen übernehmen müssen, wie sie die Marine heute vor der Küste des Libanon und bei der Sicherung gegen Piraten durchführt, Einsätze deren Grundlage das Völkerrecht und die Beschlüsse des Deutschen Bundestages sind. Sie werden beweisen müssen, dass wir aufmerksam, verantwortungsvoll und bündnisorientiert handeln - dass man sich auf uns verlassen kann!

Und Sie müssen sich darauf verlassen können, dass die Streitkräfte auch künftig das erhalten, was sie zu einer erfolgreich Erfüllung ihrer Aufträge benötigen.

Die Bundeswehr hat die Wandlungen der vergangenen 20 Jahre hervorragend bewältigt: Als Armee der Einheit hat sie die Herausforderung angenommen, die aus der größeren internationalen Verantwortung Deutschlands erwachsen ist. Die Bundeswehr ist daher auch ein Beispiel für die Reformfähigkeit und die Verantwortungsbereitschaft unseres Landes.

Als Staatsbürger in Uniform wird von Ihnen erwartet, für die Werte und Normen unserer Gesellschaft einzutreten und sie anderen vorzuleben. Das ist keine einfache Aufgabe, aber ich glaube, dass Sie hier eine persönliche erfüllende Seite Ihres Berufes finden werden. Die sittlichen und seelischen Kräfte sind das Fundament unseres Handelns. Dies hat uns die Erfahrung des Widerstandes vom 20. Juli 1944 gelehrt.

Deshalb wende ich mich an Sie, die Ausbilder hier an der Marineschule in Mürwik, aber auch an alle zukünftigen Vorgesetzten dieser jungen Männer und Frauen. Vergessen Sie nie, dass jedes Recht, das Sie haben, allein dazu dient, Ihre Pflichten zu erfüllen. Gehen Sie sorgsam mit Untergebenen um, denn sie sind das kostbarste Gut, das Ihnen anvertraut ist. Bilden Sie die Ihnen anvertrauten Soldaten fair und umsichtig aus. Wecken Sie in ihnen Begeisterung für ihre Aufgaben und Achtung vor Ehre und Würde jedes Menschen. Seien Sie ihnen stets ein Vorbild.

Sie werden jetzt in wenigen Minuten Ihren Eid ablegen. Ich habe erst vor wenigen Wochen meinen Amtseid abgelegt. Für mich ist er eine innere Stütze, ein Versprechen und eine Verpflichtung. Unser Land verdient treuen Dienst. Dafür, dass Sie bereit sind, diesen Dienst zu leisten, danke ich Ihnen und wünsche Ihnen alles Gute, Gottes Segen und allzeit eine Handbreit Wasser unter dem Kiel. Uns allen und unserem Land eine gemeinsame Zukunft in Frieden und Freiheit.

Quelle: http://www.bundespraesident.de/Reden-und-Interviews-,11057.665771/Rede-von-Bundespraesident-Chri.htm?global.back=/-%2c11057%2c0/Reden-und-Interviews.htm%3flink%3dbpr_liste#


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